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Übergang zelebrieren

|   MindShift, Nachhaltigkeit, Philosophie, Spiritualität
Erstellt von Corinne

Wir befinden uns durch die Quarantänezeit in einem Übergang. Logischerweise verunsichert das die meisten von uns. Vielleicht ist es noch spannend zu erfahren, dass Übergänge früher bewusst zelebriert wurden?

Platz für Neues

Bis ins späte Mittelalter, bzw. anfangs Renaissance wurden jahraus, jahrein Übergänge bewusst gefeiert. Darunter waren grosse Feste wie der Wechsel vom Winter zum Frühling oder vom Sommer zum Herbst. Aber auch individuelle Feierlichkeiten wie zum Beispiel der Übertritt eines Kindes zur Pubertät und damit der Schritt ins Erwachsenenalter.

Man war sich bewusst: Durch den Niedergang von etwas Altem gibt es Platz für Neues. Aus diesem Grund waren es ambivalente und kontrastreiche Feste. Denn sie trugen Ernst und Trauer sowie Hoffnung und Freude gleichermassen in sich.

Michail M. Bachtin*, ein russischer Philosoph und Literaturwissenschaftler, hat eine interessante These dazu aufgestellt: Wenn man diesen Wechsel als solchen wahrnimmt; wenn man dem Übergang Zeit und Raum lässt, dann erreichen wir eine gesunde Distanz zum Alltag. Und dadurch erleben wir das ‘Jetzt’ – in seiner Form – ganz bewusst. Dank dieser Distanz kommen wir laut Bachtin zu «einer überaus flexiblen Form des künstlerischen Sehens, […] die es gestattet, das Neue und Niegesehene zu entdecken».

Die Renaissance war eine Epoche, die das Statische, Perfekte zelebrierte. Anstelle eines Prozesses galt nur noch das Endresultat. Aus diesem Grund entschwanden Formen und Traditionen, die sich dem Unperfekten, Prozesshaften und Werdenden widmeten. Vielleicht werden wir Post-Corona dem Prozessualen, Werdenden und Unperfekten wieder mehr Platz lassen?

Ich fände das eine schöne Seite eines möglichen MindShifts.

Herzlich, Corinne


* Michail M. Bachtin: Rabelais und seine Welt. Volkskultur als Gegenkultur. Suhrkamp Verlag.

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